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Tabu-Thema Trauer
in Fragen im Alltag 01.11.2009 15:46von Carola • Zwischen den Welten | 1.806 Beiträge | 1862 Punkte
Was ist Trauer?
In erster Linie eines der größten Tabuthemen, besonders in unserer leistungsorientierten Gesellschaft. Niemand will damit zu tun haben, obwohl es jeden treffen kann. Trauer ist eine natürliche Reaktion der Seele auf einen Verlust, ein Unglück oder eine drastische Veränderung, die das Leben von einer Sekunde auf die andere auf den Kopf stellen kann. Egal ob sich der Verlust vorher angekündigt hat oder nicht.
Dazu gehören zum Beispiel:
- der Tod eines nahestehenden Menschen (Partner, Kind, Eltern, Geschwister, Freunde)
- Scheidung/Trennung (Tod der Ehe)
- der Tod eines geliebten Haustieres
- das Ende einer Freundschaft
- der Verlust des Arbeitsplatzes, Kündigung,Arbeitslosigkeit
- der Verlust der Gesundheit, unheilbare Krankheit
- der Verlust der Heimat, des Hauses, etc.
- in die Armut geraten (Abrutschen in Hartz IV)
- Verlust der körperlichen und geistigen Fähigkeiten im Alter
- Ende des Arbeitslebens, Eintritt ins Rentenalter
- usw. usf.
Es gibt Länder und Kulturen, die diese Themen in ihr Leben mit einbeziehen und sich gegenseitig unterstützen, wenn es sein muss, auch über Wochen und Monate. In den meisten europäischen Ländern, auch in Amerika, ist jeder ganz auf sich selbst gestellt. Es wird dazu noch erwartet, dass sich derjenige möglichst schnell mit der neuen Situation arrangiert und so schnell wie möglich wieder wie vorher funktioniert. Unterstützt wird dies nur durch Aufforderungen, sich alles schönzureden, den Verlust als etwas positives zu werten - denn alles andere ist nur reiner Egoismus. Damit ist das Thema in unserer Gesellschaft durch.
Für einige scheinen solche Erfahrungen tatsächlich ohne weitergehende Bedeutung zu sein, es scheint nahezu spurlos an ihnen vorbeizugehen. Bei anderen kann eine solche Erfahrung den Lauf ihres Lebens sichtbar für immer verändern. Egal zu welcher Gruppe man sich zählt, im Grunde genommen trifft immer nur die Möglichkeit zwei zu.
Wie zeigt sich Trauer?
Wenn wir uns von jemandem oder etwas für immer verabschieden müssen, löst das zumeist ein ziemliches Gefühlschaos aus, das wir unter dem Oberbegriff "Trauer" zusammengefasst haben. Dazu gehören beispielsweise:
- Schockerlebnis
- Verdrängung
- Unsicherheit
- Verlassensängste
- andere Ängste
- sich ausgeliefert fühlen
- Trauer, Verwirrung (Herzschmerz)
- Zorn, Verzweiflung
Es kann das gesamte Weltbild, das ganze Glaubenssystem, die eigenen Ziele, die geplante Zukunft - kurz gesagt das ganze Leben vorübergehend oder langfristig außer Kontrolle bringen. Die meisten tun der Gesellschaft zuliebe alles mögliche, um ihre Trauer loszuwerden. (Nicht dran denken, nicht darüber reden, dann geht es von selbst weg). Unsere Gesellschaft lässt dem Menschen kaum Zeit, sich überhaupt selbst einzugestehen, dass er etwas verloren hat.
Unsere Gesellschaft klammert dieses Thema aus, sttt Methoden zu entwickeln, wie man damit umgehen kann. Kaum einer hat gelernt, wie man mit negativen Gefühlen umgeht, in diesem Punkt sind wir die besten Verdrängungskünstler. Erst wenn man selbst plötzlich mit Tod, Verlust, tödlicher Krankheit oder Arbeitslosigkeit konfrontiert werden, merkt man plötzlich, wie isoliert man mit diesen Gefühlen in unserer Gesellschaft dasteht.
Warum muss man überhaupt trauern?
Trauern ist ein natürlicher Prozess, der zum Leben gehört wie auch alle anderen Gefühlszustände. Trauer braucht viel Zeit. Zuerst muss man sich gestatten, ein negatives Gefühl anzunehmen, erst dann kann man es durchleben und irgendwann endlich abschließen. Meist gehen wir lieber schnell wieder zur Tagesordnung über und tun so als ob nichts schlimmes passiert wäre. Schließlich könnte man die Lücke ja mit etwas neuem ausfüllen. Was sollen wir auch anderes tun? Wir haben es nicht anders gelernt.
Trauern ist aber wichtig, um das erfahrene seelische Leid zu mindern und schließlich loslassen zu können. Jeder Trauerprozess ist individuell verschieden, jeder erfährt andere Empfindungen der Stärke von Schmerz oder Kummer. Diese Gefühle sind natürlich und in der Trauer normal.
Jede Art von Verlust bedeutet auch, etwas endgültig abzuschließen. Abschied von etwas zu nehmen ist immer schwer. Wir müssen im Leben oft ein Kapitel abschließen und geistig einen Schlussstrich unter eine Sache ziehen. Den dabei entstehenden tiefen Kummer müssen wir zulassen, ihn richtig spüren können. Damit nehmen wir es an, etwas verloren zu haben und verdrängen es nicht länger. Wer nicht trauert, bleibt an diesem Punkt stehen, bis er ihn auflöst. Das ist der Grund, warum manche ihr Leben lang nicht über den Tod eines bestimmten Menschen hinwegkommen oder heute noch davon sprechen, wie der zweite Weltkrieg ihnen die Heimat oder ihre Männer geraubt hat.
Unverarbeitete Trauer beeinflusst das ganze weitere Leben. Unterdrückte Empfindungen verlagern die Trauer nur, lösen sie aber nicht auf. Auch das kann wiederum zu einem Verlust führen: Dem Verlust der Fähigkeit, das Leben zu genießen.
Der Trauerprozess
Die meisten Menschen trauern für sich allein, auch Caro gehörte bisher dazu... andere suchen sich Hilfe - ich fange grad damit an, und wenn es erstmal nur dieser Thread ist. Ich bin halt nicht der Typ, der mit diesem Thema einfach so zu nem anderen geht - zumal man nicht weiß, wie die allgemeine Reaktion darauf ist. Zwar bekommt man in irgend einer Form Hilfe - aber meist nur dahingehend, es noch schneller wegzuschieben und jedes Mal wieder zu unterdrücken.
Die Stufen des Trauerprozesses:
- Verdrängung
(man versteht die Welt nicht mehr, kann/will es nicht glauben, nicht wahrhaben)
- Verhandeln
(wenn ich jetzt dies gebe - oder geben würde - könnte das noch etwas ändern?)
- Zorn (konstruktiv)
(ist nicht gleich Wut! = destruktiv) meist in Verbindung mit Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen
Eine sehr häufige Reaktion auf einen Verlust. Man glaubt, seine Pflichten nicht richtig erfüllt, die Möglichkeiten nicht richtig ausgeschöpft zu haben.)
- Traurigkeit und Depressionen
(tritt am häufigsten auf) Man fühlt sich regelrecht am Boden zerstört, will am liebsten keinen mehr sehen. In der Anfangszeit eine ganz normale Reaktion.
- Körperliche Auswirkungen der Trauer
(ebenfalls sehr häufig, unmittelbar nach dem Ereignis)
° Appetitlosigkeit, Übelkeit, Magenkrämpfe
° Herzrasen, Schwindel
° Gedächtnisstörungen, Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen
° Schlafstärungen
° Schwitzen, nasse Hände
° Halsschmerzen
° Angstgefühle
Schritte zur Bewältigung von Trauer
- gestatte dir selbst, alle Phasen des Trauerprozesses zu durchlaufen
- nimm deine negativen Gefühle an, sie gehören zur Trauer
- Gib dir keine Schuld an dem, was geschehen ist. Das bringt den Menschen nicht zurück und verschlimmert nur deine Trauer.
- Achte auf dich und deine Gesundheit
- Mach dir keine Eile, die Sachen der verstorbenen Person wegzubringen oder das Zimmer zu räumen. Alles braucht seine Zeit.
- Versuche dem Menschen zu vergeben, der dir jetzt versucht Schuldgefühle einzureden
- Vielleicht kannst du etwas im Namen der verstorbenen (verlassenen) Person tun? (Kinderhilfsorganisation, Deutsche Krebshilfe, Selbsthilfegruppe gründen)
- Das Geheimnis eines erfolgreichen Lebens liegt nicht ausschließlich im Materiellen, sondern in der Liebe, die wir uns und anderen schenken können und im Mitgefühl für alles Lebende.
Wie denkt ihr über das Thema?
Findet ihr es wichtig, auch mal so etwas zu schreiben oder seid ihr der Meinung, dass man darüber nicht spricht? Ist es legal, sich Hilfe zu suchen oder hat das jeder mit sich auszumachen? Fehlt unserer Gesellschaft das Verständnis für dieses Thema oder nehmen wir uns bloß zu wichtig? Jeder hat einen anderen Bezug zu diesem Thema. Ich bin mal auf eure Meinungen und Erfahrungen gespannt.
:-)
...............................
Es ist wichtig, umgeben von anderen Menschen zu sein, die dich lieben und dir dadurch eine Referenz für die Existenz in dieser Welt geben.
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Boah Caro......
hartes Thema, wie du sagst, ein Tabu-Thema, leider, hab ich am eigenen Leib erfahren........
ich kann nur von mir selber reden:
Trauer bedeutet extremen Stress, Caro......
nach dem Suizid meines Freundes ist eine Welt für mich zusammengebrochen.......für meine Mitmenschen allerdings auch, noch so ein Tabu-Thema, der Suizid.....
egal...back zu der Trauer
Caro, die kann extrem sein, extrem, grad, weils ein Tabuthema ist....
ausser meiner eigenen Familie gabs eigentlich nur einen Menschen, der meine Trauer über die extemen zwei Jahre wirklich ertragen konnte..
Mein Chef meinte zu mir, als ich nach einem Tag frei zurück zur Arbeit kam, ach, kennen wir alle, meine Mutter ist ja auch grad gestorben.
Ich war fassungslos. Es war mein Freund, meine Liebe, er hat den Freitod gewählt und mein Chef redet was von, jaja, kennen wir..........Zurück zur Tagesordnung...
Ok, Eni reisst sich zusammen........
Irgendwie hat er ja auch Recht, er hat auch bestimmt um seine Mutter getrauert, aber das wegschieben, dieses ......och, nicht weiter schlimm, passiert jedem.....hat mich dermassen geschockt.....
Najut. Wie gesagt, ich hatte Hilfe......wenn auch nur durch Familie und Freunde........reden, reden und nochmal reden........zwei Jahre lang......und fragt mich bitte nicht, was in diesen zwei Jahren passiert ist, ich weiss es nicht genau...zwei Jahre Schockzustand sozusagen
dann nochmal 3 Jahre um mich selber wiederzufinden und über mich selbst hinauszuwachsen...
Die Eni, die es vor dem Freitod gab, die schüchterne, zurückhaltende kleine graue Maus ist nicht mehr......
Geworden bin ich eine selbstbewusste, ok, plappernde Eni......aber ich weiss, worauf ich zählen kann. Mir hat dieses Ausspechen sehr geholfen, Caro. Und wenns in der Familie bzw. mit den Freunden nicht geht, weil das Verständins fehlt, dann hol ich mir Hilfe......
In diesem Sinne
------------------------------------------
Ein geliebtes Kind trägt viele Namen......
LG Eni
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RE: Tabu-Thema Trauer
in Fragen im Alltag 01.11.2009 18:24von Carola • Zwischen den Welten | 1.806 Beiträge | 1862 Punkte
Du sprichst mir aus der Seele Eni,
genauso ist es, so wie du es beschreibst. Ja, es bedeutet auch Stress, weil man ja alles schön für sich behalten soll. Und wenn dein Chef das auch noch so runtergespielt hat, indem er sagt: "jaja, meine Mutter ist auch grad gestorben, kennen wir ja", so als ob er sagen würde: "Das Druckerpapier ist übrigens alle und ich habe vergessen neues zu besorgen", dann ist das so, als würde man noch einen Schlag obendrauf kriegen. Vielleicht war er aber selbst noch in der Verdrängungsphase? Die ist besonders in den ersten Wochen und Monaten ganz extrem.
In Antwort auf:
Caro, die kann extrem sein, extrem, grad, weils ein Tabuthema ist....
ausser meiner eigenen Familie gabs eigentlich nur einen Menschen, der meine Trauer über die extemen zwei Jahre wirklich ertragen konnte..
Du hattest immerhin deine Familie, mit der du darüber reden konntest - auch noch zum 1.000sten Mal. Aber stell dir vor, du stehst damit allein... mal krasses Beispiel: Zwei Todesfälle innerhalb von 10 Tagen, zwei deiner besten Freunde. Und du musst weiterfunktionieren, weil du grad beruflich/privat/wo auch immer so stark eingebunden und gefordert bist, dass du es nichtmal schaffst, zur Beerdigung zu gehen. Kein Abschied, weder offiziell noch inoffiziell. Und genau so einen Freund/Freundin bräuchtest du in dieser Situation super dringend. Aber dieser Freund/diese Freundin ist ja tot. Er/sie kommt nicht wieder und kann dir nicht helfen. Das ist Trauer-Stress hoch drei.
Klar, irgendwann ist auch der vorbei und mit ein paar Jahren Abstand sieht man vieles anders. Das heißt aber nicht, dass es nichts macht/nie was gemacht hat. Und was hat der Mensch davon wenn er sagen kann: "Wow, ich habe die Zeit überstanden und ich lebe trotzdem noch. War bestimmt eine Erfahrung wert und nichts passiert ohne Grund." Sorry, dazu kann ich nur sagen... in der ersten Stufe (Verdrängung) hängengeblieben.
Genauso geht es jedem, wenn sich innerhalb weniger Jahre solche Todesfälle häufen, man "nebenbei" die Arbeit verliert, oder diejenigen, die man am liebsten mochte nach Australien ziehen, oder man zieht selber weit weg, der Kontakt reißt plötzlich ab - seien wir mal ehrlich: Solche und ähnliche Verluste erlebt jeder. Sprechen kann man hier in unserer Gesellschaft mit keinem, weil da - ähnlich wie bei deinem Chef eher die Antwort kommt: "Das haben andere auch." oder "Ja, das kenne ich, ich musste auch erst letztes Jahr die Firma wechseln." Oder: "Ach, da findet sich schon was. Wart erstmal ab." Das heißt nichts weiter als: "Themawechsel bitte!"
Das hat jeder schon in irgend einer Form erlebt und vielleicht traut sich jetzt ja auch der eine oder andere, sich zu "outen". Gesünder ists in jedem Fall. Und immer schön dran denken:
Es gibt keine falschen Gefühle. Ein Gefühl kann niemals falsch oder fehl am Platz sein. Es hat alles seine Berechtigung. Wer sich gerade glücklich fühlt, hat dafür einen Grund und wer traurig ist auch. Alles hat seine Berechtigung.
Drück dich mal
:-)
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Es ist wichtig, umgeben von anderen Menschen zu sein, die dich lieben und dir dadurch eine Referenz für die Existenz in dieser Welt geben.
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Hallo Caro,
ich wurde bisher noch nie wirklich mit dem Thema konfrontiert, doch im Moment ist es mein Wegbegleiter.....
Ich bin dabei mich von meiner Mama zu verabschieden und das loslassen fällt mir schwerer als ich gedacht habe,
obwohl ich weiß, dass sie "nach Hause" geht, obwohl ich weiß, dass es ihr "drüben" besser geht, hat sie doch große
Schmerzen. Und obwohl ich weiß, dass wir uns wieder sehen, dennoch fällt es mir schwer, denn sie wird mir fehlen....
Deshalb verbringe ich diese letzte Zeit sehr intensiv mit ihr, wir können über alles reden, auch über den Tod und das
danach......sie geht da sehr relaxt damit um......obwohl sie auch Angst hat (jedoch mehr vor der Art wie sie sterben wird -
sie hat Zungenkrebs). Ich bin froh dass ich im absolutem Frieden mit ihr bin, da ist nichts mehr was noch aufzuarbeiten wäre, ich liebe sie und ich bin stolz darauf dass sie meine Mama ist und ich wünsche mir, dass ich in den letzten Minuten bei ihr sein kann
und sie begleiten darf.......auf ihrer letzen Reise.
alles liebe
seele
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